Faschistische Erziehung


Frühkindliche Bildung zwischen neuem Jahrhundert und Faschismus

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden wissenschaftliche und experimentelle pädagogische Ansätze, die sich von politischen Einflüssen abgrenzen wollten. Ihr Ziel war es, pädagogisches Wissen durch direkten Dialog mit den Human- und Sozialwissenschaften neu zu konzipieren, darunter Physiologie, Anthropologie, Psychologie, Soziologie, Ethnologie und Kriminologie. Dieser Erneuerungsprozess der Pädagogik umfasste eine Überarbeitung ihrer Methodik und Inhalte, wobei ein induktives und experimentelles wissenschaftliches Paradigma angestrebt wurde, das auf Fakten basiert. Insbesondere der Positivismus bot ein Wissenschaftsmodell, an dem sich die Pädagogik orientieren konnte, um Fortschritte zu erzielen.

Zwischen ausgehendem 19. Jahrhundert und dem Ersten Weltkrieg gab es eine Fülle pädagogischer Erfahrungen und langfristiger Innovationen, die sich darauf konzentrierten, die sozialen Bedingungen zu verbessern und zukünftige Generationen zu fördern. Neue Erziehungseinrichtungen wurden eröffnet, geleitet von einem neuen Geist und dem Wunsch, Instrumente zur Verbesserung der Gesellschaft zu sein.
Im Jahr 1889 eröffnete Baron Raimondo Franchetti in Cavazzone bei Reggio Emilia die erste Einrichtung für die Kinder seiner Bäuerinnen und Bauern. Im Jahr 1895 wurde in Brescia der erste Agazzi-Kindergarten eröffnet, der auf der Erziehungsmethode der Agazzi-Schwestern und den Konzepten von John Dewey basierte.
Im Jahr 1902 wurde das nationale Gesetz 242 zum Schutz berufstätiger Mütter verabschiedet, das die Arbeitsfreistellung im letzten Schwangerschaftsmonat vorschrieb. In Mantua wurde 1905 das Istituto Pro Lattanti (Säuglings-Anstalt) gegründet, was bedeutend für die Einführung von künstlicher Milch in Kinderkrippen war. Dadurch mussten Mütter nicht mehr vom Arbeitsplatz abwesend sein, um ihre Kinder zu stillen, was offensichtlich die Produktivität beeinträchtigte.
Im Jahr 1907 trugen die Barone Alice und Leopoldo Franchetti zur Eröffnung des ersten „Casa dei Bambini“ (Kinderhaus) in Rom bei, das von Maria Montessori gegründet wurde. Irene Bernasconi hingegen begann 1915 unter sehr schwierigen sozialen und auch personellen Bedingungen an der römischen Küste mit ihrer Arbeit in einem Kinderhaus. Bis 1925 wurden weitere Einrichtungen geschaffen, um den Bedürfnissen von Müttern und Kindern gerecht zu werden.
Aufgrund von Meinungsverschiedenheiten mit dem faschistischen Regime traten Maria Montessori und ihr Sohn 1933 aus der "Opera Nazionale Montessori“ (Nationales Montessori Zentrum) aus. Montessori wurde 1934 schließlich gezwungen, Italien zu verlassen. Die "Scuola Magistrale Montessori" (Montessori-Schule) und die "Opera Nazionale Montessori" wurden 1936 endgültig vom faschistischen Regime geschlossen.

Die Gentile-Schulreform

Der Faschismus, dem die Monarchie 1922 die Macht übergeben hatte, legte während seiner Konsolidierungsphase großen Wert auf die Schule, die er als wesentliches Element bei der Schaffung eines "neuen Italiens" betrachtete. Die Gentile-Reform, benannt nach Giovanni Gentile, dem Bildungsminister in der ersten Mussolini-Regierung, prägte fast fünfzig Jahre lang das italienische Schulwesen, einschließlich der Kinderbetreuung. Nach der Reform von 1923 bildete der Kindergarten, der nicht verpflichtend war und bereits mit drei Jahren besucht werden konnte, die erste Stufe der Grundschulbildung. Kindergärten wurden erstmals als Schulen betrachtet und unter die Aufsicht des Ministeriums für Volksbildung gestellt. Die ersten Richtlinien für die Bildungsarbeit in Kindergärten wurden erst 1958 erlassen und orientierten sich an den Leitlinien der Agazzi-Schwestern.

Die Entstehung des ONMI

Das Nationale Hilfswerk für Mutter und Kind ("Opera Nazionale per la tutela della Maternità e dell'Infanzia", ONMI) wurde am 10. Dezember 1925 vom faschistischen Regime gegründet, um die Politik des Bevölkerungswachstums im Sinne der kriegerischen Agenda des Faschismus zu unterstützen ("Buch und Muskete, perfekter Faschist" war einer der bekanntesten Slogans des Regimes). Diese Ideologie betrachtete die "Anzahl" als die "Macht" der Nation und verbannte Frauen in die Rolle der Mütter zukünftiger Soldaten.

Mit der Gründung des OMNI veröffentlichte der italienische Staat erstmals einen offiziellen Text für den Schutz und die Unterstützung von Mutterschaft und Kindheit.

Im Laufe der Jahre blieben die OMNI-Einrichtungen krankenhausähnlich und dienten lediglich der Ernährung und der Vermeidung von Ansteckungen, während soziale und bildungsrelevante Aspekte der Kinder weitgehend vernachlässigt wurden. Die Räume waren steril, groß, mit hohen Decken und entsprachen den Regeln und dem monumentalen Stil der faschistischen Architektur. Die Kinder wurden in großen Gruppen zusammengefasst, ohne Berücksichtigung der Altersstruktur.

Die Einrichtungen bestanden aus drei Haupträumen: Freizeitraum, Speisesaal und Schlafsaal, aber die Kinder durften sich innerhalb der Einrichtung nicht frei bewegen. Die Mittagsruhe erfolgte in einem überdimensionalen Schlafsaal, in dem es keinerlei emotionale Beziehungsmöglichkeiten gab. Die Sanitärbereiche bestanden aus einer Vielzahl von Toiletten und Waschbecken, zu denen die Kinder nach einem strengen und vorgeschriebenen Rhythmus in zeitlich versetzten Abständen Zugang hatten.

Das OMNI wurde erst 1975 aufgelöst und war eine bedeutende Einrichtung zum Schutz von Mutterschaft und Kindheit, allerdings berücksichtigte seine assistenzorientierte und hygienisch-medizinische Ausrichtung nicht die emotionalen und psychologischen Bedürfnisse der Kinder.







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